Verleihung des Gisela-Elsner-Literaturpreises
Heute vor einem Monat, am 02. Mai 2023 wurde der Gisela-Elsner-Literaturpreis zum zweiten Mal verliehen. Zeit für einen Rückblick:
Was verbindet die 1937 in Nürnberg geborene und 1992 in München gestorbenen Autorin Gisela Elsner mit der diesjährigen Preisträgerin Nino Haratischwili?
Da ist zunächst eine ganz banale Verbindung: Nino Haratischwilis Debütroman „Juja“ erschien 2010 im Berliner Verbrecher Verlag, dem Verlag, in dem von 2002 bis 2020 eine Neuausgabe verschiedener Werke Gisela Elsners erschien. Der Erstling Haratischwili schaffte es sofort auf die Longlist des Deutschen Buchpreises. Damit war ihr der Durchbruch und die Anerkennung als Prosaautorin gelungen.
Was Nino Haratischwili als Autorin mit Gisela Elsner teilt, ist das Schreiben jenseits literarischer Moden, die Suche nach einem eigenen poetischen Stil und einer eigenen Sprache. Das ist bei Elsner eine satirische Schreibweise, die mit der „ohnehin sattsam geschundenen Muttersprache bedenkenlos Schindluder“ treibt, bei Haratischwili die ganz eigene starke poetische Sprache mit „Sätzen, die wie Bonbons gelutscht“ werden können. Zudem zeichnet beide Autorinnen ein Gefühl der Fremdheit, der Befremdung des Vertrauten aus, das sich bei Nino Haratischwili im Leben zwischen zwei Kulturen – Georgien und Deutschland – und dem Schreiben in einer eigenen, aber zugleich fremden Sprache äußert.
Aber es gibt auch eine bedeutende thematische Verbindung: Beide Autorinnen widmen sich in ihren Romanen den großen Diktaturen des 20. Jahrhunderts, ihren Protagonisten und deren Opfern, aber auch den unzähligen Mitläuferinnen und Mitläufern, die von den Systemen profitiert haben. Bei Gisela Elsner ist es die unerbittliche Auseinandersetzung mit den Folgen des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik Deutschland, bei Nino Haratischwili die Darstellung der Auswirkungen der sowjetischen Gewaltherrschaft Stalins und seiner Nachfolger.
Bemerkenswert ist zudem die Tatsache, dass beide Autorinnen es explizit ablehnen, sich in ihren literarischen Werken mit sich selbst zu beschäftigen. Gisela Elsner konstatierte in einem Interview von 1984: „Wenn ich am Schreibtisch sitze, interessiere ich mich nicht für mich; ich bin für mich kein Thema meiner Arbeit.“ „Ich eigne mich nämlich nicht für eine Romanfigur in meiner Art von Romanen.“ (1987)
Ähnlich äußerte sich Nino Haratischwili in einem Interview 2010: „Der Schriftsteller Daniel Kehlmann sagt, er ist froh, sich nicht mit sich selbst beschäftigen zu müssen, er könne lügen, spielen, verführen. So geht´s mir auch. Das ist manchmal echt befreiend.“
Auszug aus der Laudatio von Dr. Christine Künzel
Anlässlich des Gisela-Elsner-Literaturpreises fand zudem ein Interview von Dr. Christine Künzel beim Bayerischen Rundfunk statt, welches hier zu hören ist:
Weitere Informationen zur Preisverleihung finden sich auf der Homepage des Literaturhaus Nürnberg: