Die Welt, betrachtet ohne Augenlider. Gisela Elsner, der Kommunismus und »68«

Dr. Tanja Röckemanns Dissertation, die sich anhand der Werke sowie des politischen Engagements Gisela Elsners mit der Entwicklung sozialistischer bzw. kommunistischer Positionen in der Bundesrepublik von 1968 bis zur Wende auseinandersetzt, erscheint diesen Monat im Verbrecher Verlag.

Die Buchpremiere findet am 25.10.2024 um 19.00 Uhr in der „Vierten Welt“ in Berlin-Kreuzberg statt. Hier wird es neben der Vorstellung der Dissertation auch Lesungen aus Elsners Werk sowie musikalische Beiträge geben.

Weitere Informationen:
Buchvorstellung: https://viertewelt.de/programm/die-welt-betrachtet-ohne-augenlieder
Buch: https://www.verbrecherverlag.de/autor_innen/tanja-roeckemann/

Hans Platschek. Höllenstürze. Hahnenkämpfe. Nette Abende

23. Juni bis 13. Oktober 2024, Ernst Barlach Haus Hamburg

Die umfangreiche Ausstellung der Werke Hans Platscheks – initiiert anlässlich des 100. Geburtstag des streitbaren Malers und Publizisten – kommt ins Ernst Barlach Haus nach Hamburg. Die Eröffnung findet am Sonntag den 23. Juni von 11 bis 13 Uhr statt und wird begleitet durch Beiträge von Karsten Müller, Marie-José van de Loo, Sebastian Giesen und Selima Niggl.

Im Rahmen der Ausstellung ist neben weiteren Veranstaltungen auch eine Lesung unter dem Titel „Böse Zungen. Ein netter Abend mit Texten von Hans Platschek und Gisela Elsner“ geplant. Die Lesung wird durch begleitende Vorträge kontextualisiert werden und befindet sich derzeit in Vorbereitung.

Weitere Termine:

Sonntag, 30. Juni 2024, 14 Uhr: Gespräch mit Claus Mewes (Mitherausgeber und -autor des Platschek-Katalogs)

Sonntag, 14. Juli 2024, 14 Uhr: Gespräch mit Sabine und Kurt Groenewold (Hans Platschek Stiftung)

Weiterführende Informationen:

Ausstellung: https://www.barlach-haus.de/ausstellung/hans-platschek/

Ausstellungskatalog: Hans Platschek. Höllenstürze, Hahnenkämpfe, Nette Abende. Hg. von Claus Mewes und Selima Niggl im Auftrag der Stiftung van de Loo: https://www.galerievandeloo-projekte.de/hans-platschek-publikationen.html

Hans Platschek, Ein netter Abend, 1972, Hans Platschek Stiftung, Hamburg. Foto: Peter Vopelius. © VG Bild-Kunst, Bonn 2024

ABSEITS

In ihrem 1982 erschienen Roman Abseits beleuchtet Gisela Elsner anhand ihrer Protagonistin Lilo Besslein die Schattenseiten des gesellschaftlich determinierten Ehefrauenlebens. Elsner lässt Lilo Besslein konträr zu gesellschaftlichen Erwartungen keine fürsorgliche, liebende Mutter sein, sondern zeigt eine Frau, welche von Freunden und Familie zur Annahme ihrer ungewollten Schwangerschaft gedrängt wird und sich infolgedessen nach der Geburt ihres Kindes gefangen in der Mutterrolle fühlt. Die daraus resultierende Abneigung der Protagonistin gegen ihr Kind und die Verweigerung des bedingungslosen Mutterglücks stellten damals wie heute einen Tabubruch dar. Hierauf folgende Depressionen und Angstzustände Lilo Bessleins werden von ihren Ärzten ausschließlich symptomatisch mit Psychopharmaka behandelt und haben eine ausgeprägte Tablettensucht zur Folge. Wiederholte Versuche Lilos aus der Mutterrolle und dem Eheleben auszubrechen, scheitern und führen sie in eine immer stärkere soziale Isolation sowie schlussendlich in den Selbstmord.

Elsner legt in ihrem Werk versteckte problematische Formen struktureller Gewalt in den gesellschaftlich anerkannten Rollen von Frauen und Männern und den tabuisierten Umgang mit den Folgen dieser gesellschaftlichen Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse offen. Sie hatte somit früh Probleme im Blick, die auch heute, über 40 Jahre nach Erscheinen des Werkes, Bestandteil des modernen gesellschaftlichen Lebens sind und ins Blickfeld des gesamtgesellschaftlichen Diskurses gerückt gehören. Wie relevant die Themen des Werkes weiterhin sind, zeigt etwa auch die aktuelle künstlerische Adaption Karen Packebuschs:

„In dem Zyklus Abseits artikuliere ich die Geschichte der Protagonistin Lilo Besslein aus Gisela Elsners Roman Abseits (1982) neu. Lilos Tablettenkonsum, zentrales Motiv im Roman Abseits und subjektstiftend für deren Verhalten, stelle ich Zeichnungen verschiedener Menschen aus Berlin bzw. deren Frisuren oder Kopfbedeckungen gegenüber. Präsentiert wie in Schautafeln historisiere ich das Dargestellte. Die Zeichnungen erscheinen wie Studienblätter. Jeder Zeichnung – jedem Subjekt – sind Namen und berufliche Stellung zugeordnet, um somit den Anschein einer biografischen Identität zu verleihen. Jedem Blatt ist eine Seite aus dem Roman gegenüber gestellt, wo lediglich der tägliche Tablettenkonsum von Lilo Besslein nachzulesen ist. Angesichts stetig steigender Zahlen und dem Konsum von Beruhigungsmitteln sehe ich in Besslein einen Prototyp dieses tablettenkonsumierenden Subjekts von heute.“

© Karen Packebusch. Weitere Teile des Werkes sind zu finden auf der u. g. Homepage der Künstlerin.

Zeichnungen: Karen Packebusch | Bleistift auf Papier, 2020 /21, Originalgröße je 21 x 14,8 cm

http://karenpackebusch.de/

Text: Gisela Elsner: Abseits, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Verlag, 1982

Literatur: Künzel, Christine: Ich bin eine schmutzige Satirikerin. Zum Werk Gisela Elsners (1937-1992). Sulzbach / Taunus: Ulrike Helmer 2012.

Gisela Elsner & Hans Platschek – Auf den Spuren einer besonderen Beziehung

1962 bis 1976 – 14 Jahre lang waren Gisela Elsner und Hans Platschek ein Paar. Sie lebten und arbeiteten gemeinsam an ihren Werken in Rom, London und Hamburg: er als Kunstkritiker und Maler, sie als Autorin. Sie teilten dabei die kompromisslose und scharfzüngige Art, mit der sie ihre Mitmenschen in den künstlerischen und gesellschaftlichen Diskursen ihrer Zeit kritisierten und herausforderten, indem sie sie gnadenlos mit den von ihnen diagnostizierten Fehlern und Missständen konfrontierten. Die Autorin und der Maler beließen es dabei jedoch nicht nur bei einem persönlichen und thematischen Nebeneinander – es lassen sich für den versierten Betrachter auch in den einzelnen Werken beider Künstler zahlreiche konkrete Parallelen und Bezugnahmen zu den Werken des jeweils anderen finden, etwa zwischen Elsners Die Riesenzwerge und Platscheks Bildserie Lothar Leinlein schreibt an Gisela.

Während dieses außergewöhnliche Paar so den jeweils anderen künstlerisch im eigenen Werk verewigte, tilgten beide jedoch nach ihrer Scheidung 1976 konträr dazu beinahe sämtliche Spuren ihrer persönlichen Beziehung zueinander aus ihrer beider Leben. Von den Schwierigkeiten, die es daher für die Forschung mit sich bringt, neben der künstlerischen auch die private Ebene dieser besonderen Beziehung nachvollziehen zu wollen, berichtet die Elsner-Biografin PD Dr. Christine Künzel in ihrem Aufsatz Gisela Elsner und Hans Platschek – eine Autorin und ein Maler abseits des Mainstreams.

Im Rahmen der ab dem 11. Februar 2024 gezeigten Ausstellung „Hans Platschek. Höllenstürze, Hahnenkämpfe, Nette Abende“ findet zudem am 11. April 2024 um 19:00 Uhr im Museum Lothar Fischer in Neumarkt/Oberpfalz mit der Schauspielerin Patricia Litten eine Lesung aus Werken Gisela Elsners statt. Eine Einführung wird durch PD Dr. Christine Künzel gegeben.

Museum Lothar Fischer, Neumarkt i.d. OPf., Andreas Pauly

Aufsatz: Gisela Elsner und Hans Platschek – eine Autorin und ein Maler abseits des Mainstreams (Christine Künzel, PDF)

Veranstaltungsflyer: Musems Lothar Fischer – Ausstellung Hans Platscheck (PDF)

Weitere Informationen:

https://www.museum-lothar-fischer.de

https://www.hans-platschek-stiftung.de/?p=4143

Verleihung des Gisela-Elsner-Literaturpreises

Nino Haratischwili am 02. Mai 2023. Foto: Michael Hehl.

Heute vor einem Monat, am 02. Mai 2023 wurde der Gisela-Elsner-Literaturpreis zum zweiten Mal verliehen. Zeit für einen Rückblick:

Was verbindet die 1937 in Nürnberg geborene und 1992 in München gestorbenen Autorin Gisela Elsner mit der diesjährigen Preisträgerin Nino Haratischwili?

Da ist zunächst eine ganz banale Verbindung: Nino Haratischwilis Debütroman „Juja“ erschien 2010 im Berliner Verbrecher Verlag, dem Verlag, in dem von 2002 bis 2020 eine Neuausgabe verschiedener Werke Gisela Elsners erschien. Der Erstling Haratischwili schaffte es sofort auf die Longlist des Deutschen Buchpreises. Damit war ihr der Durchbruch und die Anerkennung als Prosaautorin gelungen.

Was Nino Haratischwili als Autorin mit Gisela Elsner teilt, ist das Schreiben jenseits literarischer Moden, die Suche nach einem eigenen poetischen Stil und einer eigenen Sprache. Das ist bei Elsner eine satirische Schreibweise, die mit der „ohnehin sattsam geschundenen Muttersprache bedenkenlos Schindluder“ treibt, bei Haratischwili die ganz eigene starke poetische Sprache mit „Sätzen, die wie Bonbons gelutscht“ werden können. Zudem zeichnet beide Autorinnen ein Gefühl der Fremdheit, der Befremdung des Vertrauten aus, das sich bei Nino Haratischwili im Leben zwischen zwei Kulturen – Georgien und Deutschland – und dem Schreiben in einer eigenen, aber zugleich fremden Sprache äußert.

Aber es gibt auch eine bedeutende thematische Verbindung: Beide Autorinnen widmen sich in ihren Romanen den großen Diktaturen des 20. Jahrhunderts, ihren Protagonisten und deren Opfern, aber auch den unzähligen Mitläuferinnen und Mitläufern, die von den Systemen profitiert haben. Bei Gisela Elsner ist es die unerbittliche Auseinandersetzung mit den Folgen des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik Deutschland, bei Nino Haratischwili die Darstellung der Auswirkungen der sowjetischen Gewaltherrschaft Stalins und seiner Nachfolger.

Bemerkenswert ist zudem die Tatsache, dass beide Autorinnen es explizit ablehnen, sich in ihren literarischen Werken mit sich selbst zu beschäftigen. Gisela Elsner konstatierte in einem Interview von 1984:  „Wenn ich am Schreibtisch sitze, interessiere ich mich nicht für mich; ich bin für mich kein Thema meiner Arbeit.“ „Ich eigne mich nämlich nicht für eine Romanfigur in meiner Art von Romanen.“ (1987)

Ähnlich äußerte sich Nino Haratischwili in einem Interview 2010: „Der Schriftsteller Daniel Kehlmann sagt, er ist froh, sich nicht mit sich selbst beschäftigen zu müssen, er könne lügen, spielen, verführen. So geht´s mir auch. Das ist manchmal echt befreiend.“

Auszug aus der Laudatio von Dr. Christine Künzel

Anlässlich des Gisela-Elsner-Literaturpreises fand zudem ein Interview von Dr. Christine Künzel beim Bayerischen Rundfunk statt, welches hier zu hören ist:

Weitere Informationen zur Preisverleihung finden sich auf der Homepage des Literaturhaus Nürnberg:

https://literaturhaus-nuernberg.de/gisela-elsner-literaturpreis/rueckblick-verleihung-des-gisela-elsner-literaturpreises-an-nino-haratischwili-2-5-2023

Gisela-Elsner-Literaturpreis

Literaturhaus Nürnberg e.V., Dienstag, 02. Mai 2023, 19 Uhr, Einlass 17.30 Uhr

Am 02. Mai 2023, dem 86. Geburtstag Gisela Elsners, wird durch den Literaturhaus Nürnberg e.V. zum zweiten Mal der Gisela-Elsner-Literaturpreis verliehen. Preisträgerin ist die 1983 in Tiflis, Georgien geborene Theaterautorin, -regisseurin und Romanautorin Nino Haratischwili.

Der bereits vielfach ausgezeichneten Autorin gelinge es „nicht nur, die georgische Geschichte als Teil europäischer Geschichte darzustellen, sondern auch die europäische Qualität georgischer Literatur und Kultur in ihren Werken zu vermitteln. Es ist die Verbindung von Einzelschicksalen mit der Darstellung historischer Umstände, die Haratischwilis Texten angesichts des Angriffskriegs auf die Ukraine eine Aktualität verleiht, die so kaum eine andere literarische Stimme bietet“, so die Jury in ihrer Begründung.

Die Laudatio wird PD Dr. Christine Künzel als erste Vorsitzende der Internationalen Gisela Elsner Gesellschaft halten, moderiert wird der Abend durch Katharina Erlenwein. Nino Haratischwili wird zudem aus ihrem jüngsten Roman „Das mangelnde Licht“ lesen. Dieser erzählt in Retrospektiven das Schicksal von vier Jugendfreundinnen in den chaotischen Verhältnissen des durch allgegenwärtige Gewalt und Mangel geprägten Georgiens der 1990er Jahre.

Weitere Informationen und Karten:

https://literaturhaus-nuernberg.de/gisela-elsner-literaturpreis

Hans Platschek. Höllenstürze, Hahnenkämpfe, Nette Abende

17. März bis 11. Juni 2023, Kunsthalle Schweinfurt

In der Kunsthalle Schweinfurt werden anlässlich seines 100. Geburtstages Werke des Malers und Publizisten Hans Platschek (1923-2000) präsentiert. Die umfangreiche Ausstellung mit Leihgaben aus Museen und privaten Sammlungen, welche zum Teil erstmalig der Öffentlichkeit zugänglich sind, soll einen neuen Blick auf das vielschichtige Werk und die einzelnen Facetten der künstlerischen Entwicklung Platscheks ermöglichen.

Der „vielleicht ein bisschen wahnsinnige[ ] Künstler[ ]“ Platschek, „der viel zu viel kann, alsdass er sich einer Richtung zuordnen ließe“ (Willi Winkler) entzog sich nicht nur mit seiner Kunst der Zuordnung in einfache Kategorien, er beteiligte sich auch mit provokanten und scharfzüngigen Beiträgen in den künstlerischen und gesellschaftlichen Diskursen seiner Zeit. Der dem Holocaust durch Exil in Südamerika entkommene Platschek kritisierte neben der Kunst und dem Kunstbetrieb unter anderem den Umgang der Deutschen mit ihrer faschistischen Vergangenheit und teilte mit Gisela Elsner die Angewohnheit, seine Zeitgenossen mit kompromisslosen Äußerungen herauszufordern, ohne auf dabei auf etwaige Befindlichkeiten Rücksicht zu nehmen.

Auch wegen dieser unbequemen Art machte sich Platschek selbst wiederholt zur Zielscheibe, nicht zuletzt durch Elsner selbst, mit der er ab 1962 liiert und von 1967-76 verheiratet war und die ihm in ihrem Roman „Abseits“ (1982) in der Figur von Fred Meichelbeck ein Denkmal setzte. Christine Künzel hat hierzu einen Beitrag („Brezelförmige Kringel auf Leinwand“. Kunst und Kunstkritik in Gisela Elsners Werk) im von Claus Mewes und Selima Niggl herausgegebenen Katalog zur Ausstellung verfasst.

Weiterführende Informationen:

Ausstellung: https://www.kunsthalle-schweinfurt.de/de/ausstellungen/wechselausstellungen/10773.Hans-Platschek.-Hoellenstuerze-Hahnenkaempfe-Nette-Abende.html

Ausstellungskatalog: Hans Platschek. Höllenstürze, Hahnenkämpfe, Nette Abende. Hg. von Claus Mewes und Selima Niggl im Auftrag der Stiftung van de Loo: https://www.galerievandeloo-projekte.de/hans-platschek-publikationen.html

Willi Winkler: Von einem, der zu viel konnte: https://www.sueddeutsche.de/bayern/kunsthalle-schweinfurt-hans-platschek-werkschau-1.5780052

Bild: Hans Platschek, Selbstbildnis im Hafen von Montevideo, 1994, Öl auf Leinwand, 80 x 100 cm, Stiftung van de Loo Foto: Stiftung van de Loo © VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Die Internationale Gisela Elsner Gesellschaft feiert ihren 10. Geburtstag! Die Christian-Geissler-Gesellschaft auch!

Im Jahr 2012 wurde die Internationale Gisela Elsner Gesellschaft in Sulzbach-Rosenberg gegründet und wir können kaum fassen, dass das bereits 10 Jahre her ist. Ähnlich geht es unseren Freunden von der Christian-Geissler-Gesellschaft, die ebenfalls 2012 gegründet wurde, und gemeinsam wollen wir das Engagement der vergangenen 10 Jahre zum Anlass nehmen, die beiden Gesellschaften gebührend zu feiern.

Am Samstag, 3. September 2022, feiern also die Internationale Gisela-Elsner-Gesellschaft und die Christian Geissler-Gesellschaft gemeinsam ihre Geburtstage. Wir laden ein in die Berliner Programmschänke Bajszel, zu einem langen Abend mit kurzen Programmen, zum Reden, Zuhören, Kennenlernen. Für das leibliche Wohl wird bestens gesorgt sein.

Samstag, 3. September 2022, ab 19.00 Uhr | Bajszel | Emser Str. 8/9 (Nähe U/S-Neukölln), 12051 Berlin Neukölln

Veröffentlichungen zum 30.Todestag von Gisela Elsner: „unsere zeit“ und „JACOBIN“

Am 13. Mai 2022 jährte sich der Todestag von Gisela Elsner zum 30. Mal.

In gleich zwei Veröffentlichungen nahm man sich dies zum Anlass, an Gisela Elsner, ihre Person und ihr Wirken zu erinnern:

„… merken aber darf sich der organisierte Kommunismus, dem sie eine wertvolle Verbündete war, dass Gisela Elsner niemals einen einzigen Schritt aus Opportunismus getan hat. Ihre Sicht blieb klar; …“, schreibt etwas Dietmar Dath in „unsere zeit“, der sozialistischen Wochenzeitung der DKP.

Den gesamten Artikel können Sie hier einsehen: https://www.unsere-zeit.de/unbeugsames-nachleben-168903/

„Es gilt zu hoffen, dass die minutiöse Beobachterin der bundesrepublikanischen Verhältnisse weiterhin aus ihrem »literarischen Ghetto« befreit und gelesen, erforscht und besprochen wird“, beschließt Louisa Meier im JACOBIN Magazine.

Diesen Artikel können Sie hier vollständig lesen: https://jacobin.de/artikel/gisela-elsner-die-vergessene-kommunistische-literatin-der-bundesrepublik-roland-m-schernikau-elfriede-jelinek-heilig-blut-riesenzwerge/?fbclid=IwAR0nKR0ezTJuX__RVuid1oTobY6PBlAHtHmSphQKNiKCxMMc033hWma_qoU

Erstmalige Verleihung des Gisela-Elsner-Literaturpreises

Der Literaturhaus Nürnberg e.V., hat sich personell neu formiert und inhaltlich neu ausgerichtet. Zur Förderung des literarischen Lebens in der Stadt und darüber hinaus hat der rein ehrenamtlich organisierte Verein einen mit 10.000 € dotierten Preis ins Leben gerufen, der an die großartige, unbequeme, in Nürnberg geborene Schriftstellerin Gisela Elsner (1937-1992) erinnert.

Verliehen wird der Gisela-Elsner-Literarutpreis erstmals am 10. Juli 2021 um 19 Uhr im Literaturhaus Nürnberg.

Zur ersten Preisverleihung hat Gisela Elsners Freundin, die Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, einen sehr persönlichen Text verfasst:

Eine Frau springt aus einem Fenster. Die Luft war ihr kein Gegner mehr, man konnte sie mit dem eigenen Körper durchschneiden, wie ein heißes Messer (das Gisela war) die Butter durchschneidet. Oder, so hat es begonnen: Alles, was sie umgab, ja, auch die Luft, war ihr Gegner. Vor lauter Gegnern sieht man die Freunde nicht mehr, die sich ohnedies schon lang nicht mehr versammelt haben. Gisela Elsner hat mich als ihre Freundin bezeichnet, worauf ich stolz bin, doch ich habe mich nicht bewährt. Nicht bewehrt war diese Frau gegen die Luft, die zu einer Art Gallerte geworden war, nicht mehr zu durchdringen, jeder Millimeter Luft nur mehr unter Einsatz des eigenen Körpers, wenn man sich in diesen zähen Brei überhaupt hineinwagt. Dann ist es, wie in Aspik zu schwimmen, denn wenn alle Gegner geworden sind, dann ist da niemand mehr, den man noch angreifen kann. Nachdem man selber schon alles, was einen umgibt, in der Hand gehabt, angesehen und verworfen hat, dann ist man selbst verworfen, so wie der Computer einen fragt, ob man einen Text behalten oder verwerfen möchte. Gisela wollte ihre Texte den Menschen vorwerfen, und sie hat geschrieben, was sie den Menschen vorzuwerfen hatte. Als sie es dann bekamen, schienen sie es nicht zu wollen. Sie haben es nie gewollt. Zartfühlig, wie sie es waren, zeigten sie sich überaus erleichtert darüber, daß man es ihnen nicht zumutete, den Vertilgungen (von Ungeziefer, das die Menschen sind, weil man sie so behandelt hat, weil man sie getötet hat, bis ihnen die mit Giftpulver vermengte Luft in den Vertilgungsräumen den Atem nahm) beizuwohnen. Diese Stelle ist ein ins leichter Zumutbare abgewandeltes Zitat aus Giselas Roman „Otto der Großaktionär“. Spurlos wie totes Ungeziefer sollen Menschen also verschwinden und sind auch verschwunden. Man kann nichts andres sagen, aber man sagt ja immer was, ununterbrochen, sodaß man im Grunde nichts mehr sagt. Spurlos wird Gisela Elsner jetzt nicht mehr verschwinden können, denn es ist ein Literaturpreis ihr gewidmet, der den Gewinner, die Gewinnerin zumindest für eine Weile nicht verschwinden lassen wird, sondern hervorhebt. Das freut mich sehr für meine verstorbene Freundin Gisela Elsner. Und für die kommenden Preisträgerinnen und Preisträger. Ich gratuliere. Sie sollen ein Leben haben und diesen schönen Preis dazu, der sie an eine Schriftstellerin erinnern soll, die nicht verschwinden darf.

Elfriede Jelinek

Die Jury hat Natascha Wodin den 1. Gisela-Elsner-Literaturpreis zuerkannt. Geboren in Fürth als Kind von russischen Zwangsarbeitern, verbrachte Wodin ihre Kindheit unter bedrückenden Verhältnissen in Nürnberg und Forchheim. Jahre später kehrte die Autorin nach Nürnberg zurück und wohnte hier einige Zeit mit ihrem damaligen Ehemann, dem Dichter Wolfgang Hilbig, ehe sie sich in Berlin niederließ.

Nicht in erster Linie die biografischen Bezüge zur Region waren jedoch für die Entscheidung der Jury ausschlaggebend, sondern Natascha Wodins vielschichtiges, sprachlich brillantes Werk, das sie immer wieder zu den Themen Entwurzelung und Heimat, komplexen menschlichen Beziehungen und den deutschen und europäischen Zeitläuften widmet.

Auszug aus der Jurybegründung:

„Das Werk der 1945 in Fürth als Kind russischer Zwangsarbeiter geborenen Natascha Wodin steht beispielhaft für das Nachdenken über die Verwerfungen der europäischen Nachkriegsepoche. Zugleich durchleuchtet es mit großer sprachlicher Sensibilität und skrupulöser, bisweilen zärtlicher Distanz die Probleme menschlicher Beziehungen bis hinein in ihre schmerzhaften Abhängigkeiten und düsteren Abgründe. Darüber hinaus sind ihre Romane wie „Sie kam aus Mariupol“, „Irgendwo in diesem Dunkel“, „Nachtgeschwister“ oder „Die gläserne Stadt“ ein Plädoyer für einen genaueren Blick auf die Außenseiter der Gesellschaft und deren Schicksale.“

Die Laudatio auf Natascha Wodin wird der Autor und Journalist Jörg Magenau halten.

Der Gisela-Elsner-Literaturpreis des Literaturhaus Nürnberg e.V. soll alle zwei Jahre verliehen werden, normalerweise an Elsners Geburtstag, dem 2. Mai. 

Weitere Infos beim Literaturhaus Nürnberg e.V.: https://literaturhaus-nuernberg.de/gisela-elsner-literaturpreis